Kreuzweg 2022 mit Bildern der Glasfenster der Ev.-Luth. Thomas-Kirche in Hörnum/ Sylt

Einzug in Jerusalem

Wie ein Tor zu den Geschehnissen der Heiligen Woche ist der Einzug in Jerusalem.

Wenn wir den Weg heute hier beginnen lassen, dann ist das nicht wirklich der Anfang. Vieles ist dem vorausgegangen und hat genau an diesen Punkt geführt.

Jesus ist mit seinen Jüngerinnen und Jüngern umhergezogen, ist bei Menschen eingekehrt. Er hat mit ihnen gegessen, ihnen von Gott erzählt und hat Menschen heil gemacht.

Jesus hat Streitgespräche geführt, hat Menschen gegen sich aufgebracht. Andere waren froh und dankbar für das, was er gesagt und getan hat. Große Taten erzählten sich die Menschen von ihm. Sie setzten ihre Hoffnung auf diesen Mann, durch den Gott zu ihnen kam./

Als Jesus in Jerusalem einzieht, da schwenken sie Zweige und jubeln ihm zu – Große und Kleine. Überschwängliche Freude und Hoffnung.

Sie sehen in ihm den Friedenskönig, den, der Gerechtigkeit bringt.

Sie jubeln und singen: „Hosianna – gelobt sei, der da kommt“.

Doch ihre Blicke sind gar nicht auf ihn gerichtet. Es ist, als schauen sie an ihm vorbei. Als erwarten sie einen ganz anderen. Dieser kommt so unauffällig, unscheinbar.

Geht er an ihnen vorbei, ohne dass sie ihn wirklich erkennen?

Wie groß ist die Gefahr, dass Jesus unerkannt bleibt? – Nicht nur bei denen, die sowieso nicht auf ihn gewartet haben, sondern auch bei denen, die sich ihr festes Bild vom Gottessohn schon gemacht haben.

In Jerusalem warten sie auf Triumph und Sieg, dass Gott sich mit Macht durchsetzt. – Das sagen die Palmenzweige in ihren Händen.

Ist Gott so?

Wie passt unsere Vorstellung vom mächtigen Gott?

Fußwaschung und Abendmahl

Was geschieht hier? So recht erfassen können sie die Dinge nicht. Unverständnis und Bestürzung liegen in ihren Blicken, Kratzen am Kopf Ratlosigkeit.

Ein Mahl mit Jesus – wie so oft. Darauf waren sie eingestellt. Doch dann wäscht Jesus ihnen die Füße. Ihr Herr macht sich zum Knecht. Wie kann das sein?

Wie oft geht es uns so, dass wir Normalität erwarten und plötzlich steht unsere Welt Kopf. Es geht ganz anders weiter, als wir gedacht haben. Aus heiterem Himmel kommt eine schlimme Diagnose, ein plötzlicher Todesfall, Corona, der Ukraine-Krieg. Nichts ist plötzlich mehr so, wie geplant und im ersten Moment sind die Dinge noch gar nicht voll zu fassen. Im ersten Moment hofft man, dass bald alles wieder in die gewohnten Bahnen zurückkehrt.

Doch der Moment, in dem sich das Leben verändert hat, war da. Es gibt kein Zurück mehr. –

Was heißt das nun für die Beziehung der Jünger zu Jesus Christus? Petrus kratzt sich am Kopf und scheint noch zu überlegen, andere scheinen sich besprechen zu wollen, bei Johannes ändert sich durch die Liebe gar nichts. Aber einer (ganz rechts), der ist schon auf dem Absprung. Mit Jesus kann er nicht mehr mit. Mit dem Beutel des Verrats wird er gleich durch die Nacht schleichen. –

Alles durcheinandergerüttelt. Das Oberste zu unterst gekehrt, das Unterste zu oberst. Und wir müssen damit leben und die Dinge mühsam neu ordnen und verstehen lernen.

Wie werde ich mit den Ereignissen klar kommen? Wird es mir gelingen in der Nähe Jesu zu bleiben, auch wenn ich vielleicht nicht alles verstehe, oder schleiche ich auch einsam durch die Nacht ins Verderben?

Im Garten Gethsemane (1)

Jesus ist allein im Garten. Die Angst hat ihn überfallen, von einem Moment auf den anderen. Es war nicht so, dass er die Gegenstimmen und die Gefahr nicht wahrgenommen hätte. Aber plötzlich ist der Weg unabwendbar. Die Angst real. Im Inneren lodert es, brennt wie Feuer und der Schweiß tritt auf die Stirn.

Was soll man schon tun, wenn es keinen Ausweg mehr gibt?

Jesus betet. Anders als wir fragt er nicht nach dem Warum. Er bittet nicht, dass Gott eingreift. Er geht seinen Weg selbstbestimmt.

Dazu gehört auch, dass er seine Freunde im Garten allein warten lässt. Sie sollen mit ihm wachen.

Im Garten Gerhsemane (2)

Doch die Freunde schlafen ein. Drei Mal erzählt uns die Bibel davon.  So unerhört ist das. Vielleicht ist es das, was Jesus am meisten zu schaffen macht, dass die Freunde ihm keinen Halt geben, ihm nicht beistehen. –

Nichts Tun können macht müde. – Oder verschließen die Jünger vor Angst lieber ihre Augen? Ich sehe nichts, ich höre nichts, ich muss nichts sagen?

Wird uns das erzählt, damit wir wach bleiben? Dass die Kirche nicht einschläft. Dass wir nicht die Augen verschließen vor den Leid und Tod bringenden Kräften in dieser Welt.

„Bleibt wach! Bleibt wachsam!“, sagt Jesus zu uns.

Gefangenname

Die Geschehnisse nehmen ihren Lauf. Sie überschlagen sich.

Die Soldaten kommen mit Waffen, um Jesus gefangen zu nehmen.

Ein Kuss, der die Liebe in ins Gegenteil verkehrt – da wissen die Soldaten, wen sie gefangen nehmen müssen.

Im Eifer des Gefechts wird dem Knecht das Ohr abgehauen. Ein

Versuch die Dinge noch aufzuhalten? Halbherzig? Naiv? Sinnlos?

Die Geschehnisse nehmen ihren Lauf.

Was bleibt von solch dramatischen Minuten?

Und wo ist dabei Gott?

Wenn der Hahn kräht

Petrus sitzt am Feuer, doch das Feuer kann ihn nicht wärmen. Die Kälte der Angst ist in ihm hochgekrochen. Seit sich die Geschehnisse so überschlagen haben, seit die Soldaten Jesus mit Waffen kamen, seitdem hat Petrus das volle Ausmaß der Dinge begriffen. Die Situation ist gefährlich, nicht nur für Jesus, sondern für alle, die seiner Sache nahestehen.

Die Selbstsicherheit von Petrus ist jetzt wie weggeblasen. Und als die Frau auf ihn zeigt und sagt: „Du gehörst doch auch zu diesem Jesus!“, da steigt die Angst ins Unermessliche. – Die Angst vertreibt die Wahrheit.

Wie oft ist das so! Nicht nur bei Petrus damals.

Die Angst um mich selbst, um die Familie, die Angst um die Arbeit oder den Besitz. Wie schwer ist es, ihr zu widerstehen.

Wie schwer ist es, die Treue zu halten – zum Glauben an Jesus Christus in aller Offenheit zu stehen – die Stimme zu erheben für die, denen Unrecht getan wird – an der Nächstenliebe festzuhalten, wenn ich meinen Lebensstandart dauerhaft dafür einschränken muss – am Pacifismus festzuhalten, wenn ich mich von Waffen und Krieg umzingelt sehe.

Welche Wahrheit gilt in der Angst? Wenn der Hahn kräht – das Signal zum wach werden – dann erkennen wir uns selbst. – Und was ist dann aus uns geworden?

Kreuzige ihn!

Pontius Pilatus ist sich nicht sicher: was soll er mit diesem Jesus Christus tun? Er kann keine Schuld bei ihm finden. Doch die Menschen schreien: „Kreuzige ihn!“ Fäuste der Wut und der Empörung schwingen durch die Luft.

Nur wenige sind bestürzt, sehen den Menschen und sein Leiden, können differenzieren. –

Die Masse heizt die Stimmung an. Es ist einfach, mit den vielen mitzubrüllen und sich stark zu fühlen. Wer die Schuld einem anderen zuweist, muss bei sich selbst nicht suchen. –

Warum geben wir uns so gern mit einfachen Antworten zufrieden? Warum suchen wir einen Sündenbock für das, was schiefläuft, ohne nach dem eigenen Anteil zu fragen? Schreien mit der Masse mit, auch wenn wir sehen, dass dabei leiden. – Kreuzige ihn!

Kreuz tragen

Der Weg des Verurteilten führt nach Golgatha.

Jesus muss das Kreuz tragen. Die Last ist schwer. Unrecht, Leid und Tod können einen Menschen schnell an den Rand seiner Kräfte bringen. – Jesus bricht unter dem Kreuz zusammen. Daneben stehen zu müssen und nichts tun zu tun, bringt an den Rand der Verzweiflung. Petrus steht im dunklen Abseits.

Doch Simon von Kyrene, ein Bauer vom Feldrand, taucht das düstere geschehen in helles Licht. Er ist ein Helfer. Er nimmt das Kreuz Jesu auf sich. Hilft die Last wenigstens ein Stück mitzutragen.

„Einer trage des anderen Last“, schreibt der Apostel Paulus Jahre später an die christlichen Gemeinden in Galatien, „Einer trage des anderen Last, so erfüllt ihr die Weisung, die Christus gegeben hat.“ (Gal 6,2).

Am Kreuz

Drei Menschen sterben am Kreuz. Welch unendliches Leid. Doch unsere Augen sind an das Kreuz gewöhnt. Wir schauen hin. Wir schauen weg und haben es bald wieder vergessen. Wir nehmen das Leid und die Schmerzen nicht mehr wahr. Empören uns nicht über den Skandal, wie Menschen Menschen so etwas antun können.

Doch wenn ich länger hinsehe – mir Mühe gebe, auszuhalten – den Blick nicht schnell von Jesu Gesicht abwende – Wenn ich den Schmerz an mich heranlasse, dann merke ich, wie ohnmächtig mich dieses Leiden macht.

Ich muss an die vielen Menschen denken, die sinnlos sterben – im Krieg, wegen Hunger, weil es keine ärztliche Versorgung gibt. – Wessen Schuld ist das?

Hier sterben zwei wegen ihrer eigenen Schuld, Jesus in der Mitte wegen der Schuld anderer. Es gibt kein Entrinnen. Keinen Ausweg. Kann etwas Fürchterliches Sinn haben?

Ins Grab gelegt

Gestorben und begraben. Bis hierher und nicht weiter. Die Geschichte ist zu Ende erzählt, der Lebensfaden abgeschnitten. Zurück bleiben Trauer und Schmerz, Sehnsucht, Erinnerungen – Stille.

Immer wieder stehen Menschen so am Grab ihrer Lieben.

Die Endgültigkeit ist kaum auszuhalten. Der Wunsch, es wäre anders, drängt sich immer wieder ins Herz. Die Hoffnung flüstert leise helle Gedanken. Doch menschliche Erfahrung ist hart wie Beton. Sie hält den Stein fest vor der Grabestür. Was soll da schon noch kommen? Schluss. Aus. Vorbei.

Der dritte Tag

Am dritten Tag kommen die Frauen zum Grab. Sie wollen die Dinge zu Ende bringen, den Leichnam salben.

Doch es verläuft nicht nach Plan, zumindest nicht nach dem menschlichen.

Der dritte Tag ist der Tag der Rettung. Das erzählt die Bibel immer wieder. Wo die Frauen Dunkelheit erwartet haben, da ist Licht. Wo Tod war, da ist Leben. Statt dem Ende ein neuer Anfang. – Doch ihre Gesichter sind nicht froh.

„Sie liefen davon und sagten keinem etwas“ – so endete ursprünglich die Ostererzählung des Markusevangeliums.

Ja, es ist schwer in unsere menschlichen Ordnungen, Gottes Möglichkeiten einziehen zu lassen.

Zu festgelegt sind wir.

Zu sehr auf natürliche Gesetzmäßigkeiten und Statistiken fixiert.

Doch darauf lässt Gott sich nicht festlegen.

„Wenn du (alles) verstehst, ist es nicht Gott“, hat der Kirchenvater Augustinus gesagt. Gott ist immer ein Stück größer als unser Denken es fassen kann. Er verändert und macht neu, wo für uns der Weg schon längst zu Ende war.

Gott schenkt neues Leben und Hoffnung über den Tod hinaus. – Werden wir das Ostern sehen?

Die Glasfenster wurden 1970 vom württembergischen Künstler Wolf-Dieter Kohler geschaffen für die damals gerade neu errichtete Kirche in Hörnum.

Bildquelle: Alle Pixabay/ Falco.